Das Leben von Elsbeth Rieber
„Dem Dasein durch das Malen einen Sinn geben.“
Kindheit und Jugendzeit
Elsbeth Rieber, geborene Volz, kam am 30.3.1927 in Mannheim zur Welt. Ihre erste Begegnung mit Kunst hatte sie bereits früh in ihrer Kindheit. Mit ihrem Vater, dem Architekten Friedrich Volz, war sie oft in der Mannheimer Kunsthalle und im Theater. „Mein Elternhaus war ganz in der Nähe der Mannheimer Kunsthalle, da führten die meisten Sonntagsspaziergänge unserer Familie hin,“ erzählte sie.
Sie musste wegen einer schweren Knochenerkrankung viel Zeit in Kliniken und Sanatorien verbringen. Die Krankheit hat zu Einschränkungen geführt, so dass Elsbeth Rieber mit der linken Hand schrieb, zeichnete und malte. Ihre Jugend verband sie mit den Erinnerungen „Mannheim, Rheinschiffe, Fernweh, nicht wegkönnen, Drittes Reich, 1942 ausgebombt, aufs Land, Kriegswirren“.
Studienzeit
Nach dem Abitur studierte Elsbeth Rieber an der Akademie in Karlsruhe auf Lehramt (1949 – 1952).
Im Rückblick sagte Elsbeth Rieber über ihre Studienzeit:
„Man sollte sich als Künstler einige Jahre ausschließlich damit beschäftigen, sehen zu lernen.“
Sie bedauerte, dass dieser Hauptsinn, „die Welt bietet sich doch zuerst über das Auge dar,“ oft vernachlässigt wird. Aber man könne es lernen, sagte sie im Hinblick auf ihre spätere Tätigkeit als Lehrerin.
Porträts und Figurenstudien aus dieser frühen Zeit belegen, dass sich Elsbeth Rieber intensiv mit der menschlichen Gestalt auseinandersetzte. Daneben entstanden Arbeiten nach Naturmotiven: so zeigt die Zeichnung eines Kaktus von 1952 die Struktur und Geometrie des Raumes.
Das Lehramtsstudium im Fach Geographie an der Technischen Hochschule in Karlsruhe und das Kunststudium schloss Elsbeth 1952 und 1953 mit dem Staatsexamen ab.
Während des Studiums lernte sie ihren späteren Mann Fritz Rieber kennen. Sie heirateten 1952. 1958 wurde der gemeinsame Sohn Matthias geboren, der im Alter von 36 Jahren bei einem Unglück ums Leben kam.
Beruf
Elsbeth Riebers Schullaufbahn begann 1954 im Progymnasium in Langenau. Von 1958 bis 1982 arbeitete sie als Kunsterzieherin am Joachim-Hahn Gymnasium und am Evangelischen Seminar in Blaubeuren. Bei Elsbeth Rieber gab es keine strenge Trennung zwischen Schule und Privatleben. An Kunst interessierte Schüler gingen in ihrem Haus ein und aus und es war ihr eine Selbstverständlichkeit, in den Schulferien mit Schülerinnen und Schülern eine Kunstreise zu machen. Umgekehrt versuchte sie die engen Grenzen des Schulunterrichts zu überschreiten, griff als erste die Idee der Projekttage auf (Schule macht Kunst, 1977).
„Es ging ihr nicht in erster Linie darum, ihren Klassen einen vorgeschriebenen Lernstoff zu vermitteln, sondern den Schülern nahezubringen, dass künstlerische Tätigkeit etwas fürs Leben ist,“ erinnerte sich ihr Kollege Johannes Menge. Andere zum künstlerischen Tun anzuregen, dafür lebte sie. So ließ sie ein Aquarell, das den Klosterhof mit der dahinter aufragenden Bergwand zeigte, drucken und veranstalte einen Wettbewerb, in dem dieser Druck so übermalt werden sollte, dass ein eigenes Kunstwerk entstand, aber dennoch die gemeinsame Vorlage noch durchschimmerte.
Ruhestand
Eine Erkrankung zwang Elsbeth Rieber 1982 den Schuldienst zu quittieren, doch sie gewann dem zwangsweisen Ruhestand bald das Beste ab. Sie schuf in wenigen Jahren ein umfangreiches Werk, das Sie als große Künstlerin auswies. Die Intensität ihres Schaffens war vielleicht auch darin begründet, dass sie spürte, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte. Ihre letzten Bilder entstanden wenige Tage vor ihrem Tod in Italien. Elsbeth Rieber starb am 11. September 1986 im Krankenhaus in Ulm.
Der Kunsthistoriker Gerald Jasbar beschrieb Elsbeth Rieber:
„Sie will mit ihrer Kunst das „Weltverständnis vertiefen“, wie sie einmal gesagt hat. Dieses universelle Bestreben schließt die Darstellung des Menschen, seiner Umwelt und der Natur in sich ein. Als Künstlerin vermittelt sie uns mit ihren Bildern eine Weltsicht, in der für Skepsis kein Platz bleibt, im Gegenteil, die Grundstimmung ihres künstlerischen Werks ist positiv und optimistisch, ohne in eine verklärte Romantik abzugleiten.“
Das Werk
Künstlerisches Gestalten war für Elsbeth Rieber notwendig:
„länger als drei Tage, ohne zu malen das halte ich nicht aus, auch wenn ich es nicht will, fange ich ganz schnell wieder an zu gucken“.
Malerei
Zahlreiche Reisen führten die Familie ins Ausland, besonders in die geliebten Sonnenländer mit alten Kulturen und Kunstwerken, aber auch nach Asien und Amerika. Eine große Anzahl an Skizzenbüchern und Aquarellen entstanden während dieser Aufenthalte, deren Motive wiederum Anlass boten für größere Arbeiten in Acryl. Eine immense Neugier und Offenheit gegenüber fremden Ländern und Kulturen zeigt sich in vielfältigen Studien vom Leben und Treiben in den Städten, ebenso wie die Einsamkeit und Stille einer Meereslandschaft. Die Kompositionen zeugen in den späten Jahren von großer Spontanität und Konzentration auf das Wesentliche, „die Farbpalette wird zur Expressivität gesteigert, die Zeichnung besticht durch einen vibrierenden Duktus“ (Gerald Jasbar).
Das Werk Elsbeth Riebers besticht durch seine erfrischende Vielgestaltigkeit – Ausdruck eines Temperaments, das Kunst als vitale Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit begreift.
Elsbeth Rieber bezeichnete sich selbst, in dieser späten Phase, als eine „Post-Expressive“:
„ich will spontane, expressive, möglichst kraftvolle Bilder machen; (…) ich war schon in der Akademie dafür bekannt, dass mir weder Leinwand noch Tisch gereicht haben – obwohl oder vielleicht gerade weil ich von kleiner Statur bin.“
Porträts
Zuhause malte sie vor allem Porträts. Johannes Menge, ein Freund und Wegbegleiter, erinnert sich:
„Ihr zu sitzen war keine Mühsal, es war eine Begegnung zwischen zwei Menschen, die sich schätzten. Während der Unterhaltung vollzog sich der Malprozess.“
Auf diese Weise hat sie viele Menschen in großer Lebendigkeit dargestellt. Sie hat Bildnisse als Zeichnungen in Schwarz-Weiß, mit Farbstiften und als Aquarell wie auch mit Öl- und Acrylfarben geschaffen. In den einzelnen Techniken gelangen ihr Betonungen der vielfältigen Facetten, immer neue Sichtweisen und Formprinzipien, insgesamt mit einer riesigen Bandbreite an Farben.
Späte Arbeiten 1982-1986
Erste großformatige Bilder mit antikem Inhalt, die sie in ihren Ruhestandsjahren bevorzugte, entstanden auf einer Reise nach Italien 1982. Spontan kaufte Elsbeth Rieber Farben und Leinwand und begann in Paestum vor den antiken Tempeln ihren Sisyphos zu malen. Die Freiheit, die sie nun hatte, nützte sie zu ganzen Bilderzyklen im großen Format.
Auf einer Reise erwarb sie auf einem Flohmarkt einen Raubdruck von Christa Wolfs "Kassandra" und begeisterte sich für den Roman, der ein Frauenleben in der Antike zeichnet und, indem er die Verfremdung durch die zeitliche Distanz als Lesereiz einsetzt, zum heutigen Leben ermutigt. Diese Ermutigung setzte sie in die großen Bilder des Kassandrazyklus um. Inhaltlich damit verwandt ist der Zyklus der Schönen Lau, in dem ebenfalls in der Darstellung vor allem der weiblichen Figur ein Frauenleben mit Unterdrückung und Befreiung gezeigt wird. Dieser schmückt heute das Foyer des Rathauses Blaubeuren. Zu den großen Formaten kamen glühende Farben, extreme Perspektiven und unkonventionelle künstlerische Mittel: Nilschlamm, Mittelmeersand, Holzteile und andere Gegenstände wurden in die Bilder eingearbeitet und appliziert.
Die 12 Bilder von Elsbeth Rieber sind nicht illustrativ gedacht, sondern eine freie Assoziation zu dem von Christa Wolfs gleich lautenden Buch über die antike Ruferin Kassandra, deren Weitsicht über eine sich nahenden Katastrophe nicht gehört wird. Themen wie Begierde, Mord, Ekstase, Liebe und Gastfreundschaft, aber auch die Stellung der Frau werden dargestellt. Naturmaterialien wie Asche, Blütenstaub, Schlamm und Sand überlagern die Farben, bewegte Linien und dynamische, mit breitem Pinsel geführte Formen lassen eine figurative und expressive Malerei entstehen.
Anders als andere Interpreten von Eduard Mörikes „Schöner Lau“ sieht Elsbeth Rieber das Thema Frau als Angelpunkt in dem Stück. Die Frauenfiguren und selbst der Blautopf sind in kraftvollen Rottönen gehalten, ein Symbol für Lebendigkeit und Kraft.
Reisen um die Welt
Elsbeth Rieber ist immer auf der Suche nach optischen Eindrücken, aber auch auf der Suche danach, ihr Weltverständnis zu vertiefen. Deshalb wird sie nie damit aufhören, sich fremde Kulturen durch „Begegnung“ mit ebendiesen oder ihren Trägern im Ursprungsland oder in Blaubeuren zu erarbeiten. Ab 1955 führen sie Studienreisen in europäische Länder, nach Afrika, Amerika und Asien. Auf ihren Reisen erhält sie wichtige künstlerische Impulse, die in zahlreichen Bildern und Skizzen ihren Niederschlag finden.
Amerikareise 1985
Bilder einer Reise aus dem Jahr 1985 in die USA zeigen, welche Eindrücke Stadt, Land, Tier und Mensch bei Elsbeth Rieber hinterlassen haben. Es entstanden abgeschlossene Werke, bei denen die Bleistiftskizzen in markanter Weise Teil des Malprozesses wurden.
Ein Paar für die Kunst
Elsbeth und Fritz Rieber
Im Studium an der Kunsthochschule in Karlsruhe lernten sich Elsbeth und Fritz kennen. Fritz Rieber, Jahrgang 1927 wie Elsbeth, stammte aus einem Reutlinger Pfarrer- und Lehrergeschlecht. Vom Temperament her waren sie gegensätzlich: Elsbeth willensstark und bestimmend, Fritz zurückhaltend, aber seiner Fähigkeiten bewusst. Noch während der Studienzeit entschlossen sie sich 1952 zur Heirat. Nach ihrer ersten Lehrertätigkeit in Langenau kauften sie 1958 ein seit dem Jahr 1459 bezeugtes Haus in der Altstadt von Blaubeuren, welches von da an nicht nur ihr Lebensmittelpunkt, sondern auch ein künstlerischer Anziehungspunkt und Treffpunkt für kunstinteressierte Blaubeurer war. Fritz Rieber arbeitete im Ulmer Museum als Restaurator und richtete sich in der Blaubeurer Gerbergasse eine Werkstatt ein. Als er einen Lehrauftrag für Restaurierung an der Kunstakademie in Stuttgart erhielt, pendelte er täglich mit der Bahn. Elsbeth unterrichtete ab 1958 am Gymnasium und am Evangelischen Seminar in Blaubeuren. Beide malten und nutzen die zahlreichen Reisen für ihre künstlerische Arbeit. Auch als Maler waren sie ganz verschieden: Elsbeth malte fantasievoll und expressiv, Fritz bildete die Welt realistisch ab. Halb scherzhaft sagte er nach einer Tunesienreise:
„Elsbeth benützt einen kleinen Aquarellkasten und malte große Aquarelle, ich benütze einen großen Aquarellkasten und malte kleine Aquarelle“.
Das Graphik-Kabinett (1980-2005)
1980 wurde das Grafik-Kabinett im Erdgeschoss des Hauses in der Gebergasse 1 in Blaubeuren eröffnet. Die Räume sollten nicht nur jungen Künstlern die Möglichkeit geben auszustellen und der Öffentlichkeit diese zu betrachten, sondern vor allem dachte Elsbeth Rieber daran, ihren Schülern echte Kunstwerke zu Gesicht zu bringen. Die Ausstellungen fanden großen Zuspruch durch die Blaubeurer Bevölkerung. Die Ausstellungen beschränkten sich nicht nur auf das Graphik Kabinett, das ganze Haus stand den Gästen immer von oben bis unten offen.
Podcast
Georg Hiller, Bürgermeister der Stadt Blaubeuren von 1978 bis 2002, und Johannes Menge, ehemaliger Oberstudienrat am Joachim-Hahn-Gymnasium, teilen ihre Erinnerungen an Elsbeth Rieber, welche den beiden Männern eine Freundin und Kollegin war.